Elektrisches Fliegen – Standard der nahen Zukunft?

Mehr als zweihunderttausend Passagier- und Frachtflugzeuge durchqueren täglich den weltweiten Luftraum. Teuer ist neben deren Wartung vor allem ihr Antrieb – sowohl aus ökonomischer als auch ökologischer Sicht. Die Elektrifizierung der kommerziellen Luftfahrt verspricht durch die Einbringung neuer Antriebskonzepte und die damit verbundenen Effizienzverbesserungen kosteneffiziente Lösungsansätze und signifikante Emissionseinsparungen. Zudem ermöglicht sie neue Sicherheitsvorkehrungen in der Luft. EAS-Geschäftsführer Michael Deutmeyer beleuchtet die Herausforderungen und Chancen des elektrischen Fliegens:

Kostenreduktion durch elektrische Antriebssysteme
Kommerzielle Tragflächenflugzeuge sind kontinuierlich im Einsatz. Die permanente und sichere Nutzung dieser Flugzeuge erfordert eine fortwährende Energiezufuhr sowie kurze und strikt eingehaltene Wartungsintervalle. Die Betriebskosten stellen damit den entscheidenden Kostenfaktor des klassischen Fliegens dar. „Kerosin wird in den kommenden Jahren immer höher besteuert werden und die schon jetzt hohen Energiekosten werden damit signifikant ansteigen“, sagt Michael Deutmeyer. „Die wesentlichen Kostentreiber der Wartung sind die thermischen Antriebsmotoren sowie die hydraulischen und fluiden Systeme. Elektromotoren hingegen sind enorm zuverlässig und in der Anschaffung günstig.“ Der vollständig oder teil-elektrifizierte Antrieb von Flugzeugen reduziert den Aufwand der Instandhaltung und verbraucht deutlich weniger Energie im Betrieb. Dies gelingt bei kleineren Flugzeugen zum Beispiel durch den Einsatz von elektrischen Antriebsmotoren oder bei größeren Maschinen durch Batterien für die unabhängige Stromversorgung am Boden. Eine weitere Möglichkeit bietet ein integrierter Elektromotor im Bugfahrwerk, mit dem das Flugzeug eigenständig und mit abgeschalteten Haupttriebwerken zum Gate oder zur Startbahn fahren kann. 

Reichweite durch energieeffiziente Hybridsysteme
Rein elektrisches Fliegen ist in absehbarer Zeit für Kurzstreckenflüge in Passagierflugzeugen mit dreißig bis fünfzig Sitzplätzen denkbar. Diese batterieelektrischen Flugzeuge benötigen wenig gesonderte Infrastruktur und lassen sich mit wenig operativer Anpassung in den jetzigen Flugverkehr einbinden. Batterie-Lade-Container an den Gates ermöglichen schnelles Laden unabhängig des Flughafenstromnetzwerks. Um sinnvolle Strecken zu bedienen, die zum Beispiel keine direkte Landverbindung haben, sind Reichweiten von drei- bis fünfhundert Kilometern nötig. „Das ist rein batterieelektrisch machbar und auch im Vergleich mit anderem Verkehrsmittel eine durchaus konkurrenzfähige Alternative. Die gravimetrische Energiedichte muss dazu etwa 350 bis 450 Wattstunden pro Kilogramm erreichen“, sagt Michael Deutmeyer. „Doch so strikt würde ich klassische und elektrische Antriebe beim Fliegen gar nicht trennen. Mit der intelligenten Nutzung eines sogenannten ‚Range-Extenders‘ ist effizientes Fliegen mit großer Reichweite ein Leichtes, zumindest technologisch.“ Die Idee dabei ist, ein hybrides System zu nutzen – je nach Flugzeuggröße und eingesetzter Motortechnologie. Dabei treibt entweder ein thermischer Motor einen Generator an, der zusätzlich zur Batterie Strom für den elektrischen Antriebsmotor erzeugt, oder der thermische Motor und der elektrische Motor ergänzen einander parallel und treiben den sogenannten Propulser, also den Propeller oder das Turbinenrad, direkt an. Beide Varianten verlängern die mögliche Flugstrecke im Gegensatz zum rein elektrischen Antrieb um einige hundert Kilometer.

Sicherheit durch redundante Triebwerkkonzepte 
Über die Kostenersparnis hinaus, bringt elektrisches Fliegen Aussichten auf neue Sicherheitsstandards mit sich. Elektrische Triebwerke sind klein und leicht. Sie können mehrfach im Flugzeug verbaut werden. Sollte ein Antriebssystem ausfallen, könnte es direkt durch einen Zwilling ersetzt werden. Auch ein Range-Extender stünde als zusätzliche Energiequelle zur Verfügung. 
Für die Sicherheit in der Luft ist ein sicheres, leistungsstarkes und luftfahrtaugliches Batteriesystem mit entsprechender Zelltechnologie ausschlaggebend. Die gängige Zellchemie für Hochenergie-Anwendungen basiert aktuell auf Nickel. „Wir sind in der Lage, hochnickelhaltige Kathoden in einer zylindrischen Zelle sicher zu verbauen, zum Beispiel indem wir mit einem Hochdruckelektrolyten arbeiten, der beim Öffnen der Zelle sofort verdampft“, sagt Michael Deutmeyer. „Doch es gibt auch erfolgversprechende Ansätze für Lithium-Schwefel-Kathoden. Schwefel ist leicht, hat eine gute gravimetrische Energiedichte und bringt eine gute Spannung mit sich. Schwefelkathoden könnten der nächste Evolutionsschritt des elektrischen Fliegens sein, denn es handelt sich um eine extrem sichere Zellchemie, ähnlich LFP, das für die Luftfahrt jedoch zu schwer ist.“ Grundsätzlich ist das zylindrische Zelldesign überall dort, wo Sicherheit eine entscheidende Rolle spielt, das Zellformat der Wahl. Rundzellen halten einem hohen Innendruck stand, leiten Wärme optimal aus, sind schnellladefähig und ermöglichen einen einfachen Aufbau des Batterie-Packs. Für das beginnende elektrische Fliegen eignen sich somit die hochleistungsfähigen Rundzelldesigns mit guter elektrischer und thermischer Anbindung sowie dem sicheren propagationsvermeidenden Verhalten, wie sie bereits heute Bestandteil des EAS-Entwicklungsportfolios sind.

Electric flying - the standard of the near future?

Gewichtsreduktion durch innovative Bipolarbatterien
Um die kommerzielle Luftfahrt über einzelne kleinere Flugzeuge auf kurzen Flugstrecken hinaus zu elektrifizieren, bedarf es weiterer batterietechnologischer Entwicklungen. Zwei wesentliche Aspekte sind dabei leichte leistungsstarke Batteriesysteme sowie ihre Ladeinfrastruktur.
„Ein Lösungsansatz für flugoptimierte Batteriesysteme der Zukunft könnten Bipolarbatterien sein“, sagt Michael Deutmeyer. „Sie versprechen eine höhere Energiedichte für mehr Reichweite.“ Das Konzept einer Bipolarbatterie erinnert an Zellen mit gestapelten Elektroden, wie zum Beispiel Pouch-Zellen. Sie besteht jedoch – indem die Anode immer direkt auf der Kathode aufliegt – aus bereits miteinander verschalteten Aktivmaterialblättern auf Basis eines elektrisch leitenden Polymers. Dadurch entfällt die mechanisch aufwändige serielle Verbindung der einzelnen Zellen innerhalb eines Batterie-Packs. „Mit einer Bipolarbatterie erreichen wir ein Äquivalent für Batteriesysteme, das nur noch die Hälfte wiegt. Für das elektrische Fliegen wäre das ein echter Durchbruch“, sagt Michael Deutmeyer. „Die Grundvoraussetzung für die Fertigung der bipolaren Batterien bringen wir mit unserer speziellen EAS-Extrusionstechnologie mit. Sie erlaubt zukunftsweisende Bipolar-Konzepte mit extrem hoher spezifischer Energie. Erste Vorentwicklungen für eine Bipolarbatterie haben wir bereits erfolgreich abgeschlossen und diskutieren die Weiterentwicklung dieser Technologie mit potentiellen Partnern und Anwendern. Perspektivisch wird die Lithiumionentechnologie auf bipolare Batteriesysteme hinauslaufen. In der zweiten oder dritten Generation halten wir Energiedichten von 500 Wattstunden pro Kilogramm auf Pack-Ebene für möglich.“ 
Eine größere Herausforderung für die übergreifende Elektrifizierung des Fliegens stellt die harmonisierte Ladeinfrastruktur dar. „Kaum eine Industrie ist weltweit so harmonisiert wie die Luftfahrt“, sagt Michael Deutmeyer. „Jeder Pilot muss überall landen und kommunizieren können. Daher ist die Sprache überall gleich – genauso wie die Zeichen, die Kraftstoffe und sämtliche weitere Spezifikationen des Luftfahrtbetriebs. Hier global übergreifend etwas zu verändern, ist ein langwieriger Prozess. Die Ladeinfrastruktur muss weltweit harmonisiert eingeführt werden. Wir brauchen überall die gleiche Spannung, die gleichen Stecker, die gleiche Software-Kommunikation. Selbst wenn man mit dem harmonisierten Aufbau der Ladeinfrastruktur erst einmal im Inland startet, ist das ein langer Weg.“ Genau hierin sieht EAS jedoch eine Chance, die zur Erschließung eines neuen Marktes für standardisierte Flugzeugladesysteme führt.

Klimaschutz durch elektrifizierte Luftfahrt 
Der heutige weltweite Flugverkehr trägt signifikant zur Erderwärmung bei. Der Anteil der Luftfahrt am globalen CO2-Ausstoß beträgt aktuell zwar nur – Tendenz stark steigend – rund dreieinhalb Prozent, doch in großer Höhe ausgestoßene Stickoxide und die Formation von Kondensstreifen sind zusätzlich für klimaschädliche Treibhausgase verantwortlich. Hinzu kommen die bodennahen Stickoxide, die zwar nicht klima- jedoch gesundheitsschädlich sind. „Somit hat die Elektrifizierung der Luftfahrt einen bedeutenden Effekt auf den Klima- und Umweltschutz“, sagt Michael Deutmeyer. „Auch die Lärmbelästigung, die ebenfalls einen schädlichen Umwelteinfluss darstellt, verringert sich deutlich.“
Doch wie lange wird es dauern, bis elektrisches Fliegen ähnlich selbstverständlich gelebt wird, wie die Fahrt in einem Elektroauto heute? „Es wird noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis die ersten Prototypen überhaupt in die Langzeittests gehen können. Entwicklungszyklen in der Luftfahrt sind lang“, sagt Michael Deutmeyer. „Auch die Zell- und Batterieentwicklung muss noch einiges leisten. Sie war bislang auf den automobilen Bereich fokussiert, doch jetzt sollte sie sich auch der Luftfahrt annehmen. Man kann die geleisteten Entwicklungen nicht eins zu eins übertragen. Es braucht Spezialisierung, um die neuen Anforderungen und Umgebungsbedingungen, wie zum Beispiel einhundert Grad Temperaturdifferenz, auf Systemebene zu beherrschen. Es ist machbar, doch es braucht Aufmerksamkeit und Zeit. Ein großer Vorteil bei der Elektrifizierung der Luftfahrt ist, dass die Flugstrecken klaren Mustern folgen. Diese klaren Zyklen helfen bei der Optimierung der Antriebs- und Batteriesysteme.“ 
Die Erwartungen an die weiteren Entwicklungen innerhalb der Batterietechnologie sind naturgemäß begrenzt. „Optimierte E-Flugzeuge können unter guten Bedingungen sicherlich noch fünfzig bis hundert Prozent bessere Reichweiten erzielen. Danach wird sich die Optimierung eher mit begleitenden Themen befassen“, sagt Michael Deutmeyer. „Wie günstig und intelligent kann ich produzieren? Wie klimaneutral kann ich den Range-Extender gestalten? Wie kann ich die Rohstoffe zurückführen, wie gut setze ich die Kreislaufwirtschaft um? Es wird dann darum gehen, welche Zykluszahlen die Batterien erreichen, wie haltbar sie sind und wie sie weitere Kosten einsparen können. Doch wenn sich das elektrische Fliegen zu diesem Zeitpunkt tatsächlich durchgesetzt hat, ist das schon eine unglaubliche Revolution.“